Kein Bier vor vier?

Do 07.12.17

Die Geschichte könnte auch in der Schweiz passiert sein. Im Kindergarten fällt ein fünfjähriges Mädchen beim Spielen vom Baum und bricht sich den Arm. Klar, das tut weh und man muss zum Arzt. Doch was tun die Eltern? Sie gehen vor Gericht und klagen gegen den Kindergarten wegen Verletzung der Aufsichtspflicht. Sie kriegen vom Gericht Recht und der Kindergarten muss knapp 10'000 Euro Schadensersatz zahlen. Die Geschichte hat etwas sehr Absurdes. Aber es gibt ähnliche Geschichten in der Schweiz.

Als Kind hatte ich öfters Mal kleinere Unfälle. Meistens ging man deswegen nicht einmal zu Arzt. Das gehört doch zum Kind-Sein dazu, mal einen Blödsinn zu machen und daraus etwas zu lernen. Niemals wäre es jemandem in den Sinn gekommen, deswegen jemand anderen einzuklagen. Wenn etwas schiefgeht, direkt zum Anwalt zu rennen, das ist eine neuere Erscheinung. Überall lautet das Credo: Sicherheit über alles. Da muss der Kinderspielplatz einen extra weichen Belag haben, damit sich ja kein Kind verletzt. Die Kletterstangen, auf welchen wir als Schüler noch herumkletterten, sind demontiert – Zu gefährlich. Was ist das Resultat? Alles was potentiell auch nur ein wenig gefährlich sein könnte, wird grundsätzlich vermieden. Also lieber drinnen ein Spiel machen als draussen herumrennen. Und dann wundert man sich, warum die Kinder heute so häufig an Bewegungsmangel leiden.

Szenewechsel: Die Schulleitung der ZHAW beschliesst, dass es an der Frackwoche keine laute Musik mehr geben darf. Ebenfalls soll vor 18 Uhr kein Bier verkauft werden dürfen. Das erklärte Ziel der Schulleitung ist es, dass weniger Leute an der Frackwoche teilnehmen. Die ZHAW ist zwar kein Kindergarten, aber gewisse Ähnlichkeiten sind erkennbar. Ich kann nur darüber spekulieren, wie die Schulleitung zu einer derart absurden Idee kommt. Vermutlich hatte man Angst, dass etwas passiert. Wo es viele Leute hat und Alkohol, ja da kann es tatsächlich auch mal vorkommen. Man munkelt, dass im letzten Jahr Menschen mit Wasserballons beworfen wurden und es dabei zu einer leichten Verletzung gekommen sei (wie auch immer das genau passiert ist). Auch schon ist es zu Sachbeschädigung gekommen. Natürlich, das geht nicht. Die Verantwortlichen müssen hier für den Schaden aufkommen. Aber das kann doch kein Grund sein, alle anderen zu bestrafen, indem die Frackwoche einschränkt wird! Diese Null-Risiko Kultur erinnert mich stark an den Fall im österreichischen Kindergarten. Der Frackumzug und die Frackwoche sind eine 100-jährige Tradition in Winterthur. Vor einigen Jahren war ich selber Absolvent an der ZHAW. Es ist Tradition, dass die Absolventen zu allen ihren Dozenten gehen und den Unterricht „stören“, um sich vom Dozent zu verabschieden. Dabei muss der Dozent häufig irgendwelche lustigen Aufgaben lösen und für die Klasse gibt es Bier. Es ist ja auch nur einmal im Jahr und alle mir bekannten Dozenten haben grosse Freude daran. Die Studenteninnen und Studenten ebenfalls. Die Einschränkungen der Schulleitung und das Bierverbot gehen in Richtung Abschaffung dieser Tradition. Und das wäre schade. Damit den Abschluss des Studiums zu feiern ist doch ein toller Brauch.

Ob Kinder auf einem Baum klettern oder Erwachsene tagsüber Bier trinken, es gibt die Tendenz im Namen der Sicherheit, vieles unnötig einzuschränken. Was es braucht ist eine Interessensabwägung. Was ist der Nutzen? Was ist der mögliche Schaden? Welches Risiko ist tragbar. Dann schaffen wir es für Probleme und Interessenskonflikte einen guten Mittelweg zu finden. Ich hoffe die Schulleitung kann mit den Dozenten und der Studierendenschaft zusammensitzen und eine gute Lösung finden. Der Autor dieses Textes wird dann ziemlich sicher an der Frackwoche anzutreffen sein, vermutlich mit einem Bier - Auch vor 18 Uhr.

7. Dezember 2017, Martin Neukom, Kantonsrat Grüne Winterthur