Doppelte Röhre - halbe Gesundheit

Di 26.01.16

Was kommt Ihnen beim Wort Gotthard in den Sinn? Bizarre, von Gletschern gesäumte Granitblöcke, die in den Himmel ragen, spielende Murmeltiere, der Reduitplan von General Guisan aus dem zweiten Weltkrieg, eine bekannte Schweizer Hardrockband oder Staumeldungen am Radio, Lärm und Luftverschmutzung durch Tausende von Lastwagen oder etwa der Gotthardbasisitunnel für die Bahn, der nächsten Sommer eröffnet wird? Am 28. Februar stimmen wir darüber ab, ob der unersättliche Auto-und Lastwagenverkehr ein weiteres Loch in den Alpenschutz fressen darf. Viele Umweltorganisationen erachten es als unglaubwürdig, dass zwei Gotthardröhren künftig bloss zur Hälfte genutzt würden. Ist die Kapazität einer 2. Röhre mit zwei Milliarden Franken einmal gebaut, so wird sie früher oder später auch genutzt. Noch mehr Lastwagen würden die Schweiz von Basel bis Chiasso auf der Strasse durchqueren und die Umwelt belasten.

Tessiner und Urner Bevölkerung leidet besonders

Dies hätte schwerwiegende Folgen für die Gesundheit der Bevölkerung, die sehr stark unter der Luftverschmutzung durch den Transitverkehr leidet. Am meisten hätte die Tessiner und die Urner Bevölkerung darunter zu leiden, deren Luft schon heute stärker belastet ist als die Grenzwerte es zulassen.

NEAT-Alptransit nicht mit 2. Autoröhre untergraben

Nächsten Sommer wird der Bahn-Alptransit (die NEAT) in Betrieb gehen. Dafür hat die Schweiz in den letzten 20 Jahren 20 Milliarden Franken ausgegeben, damit der Güterverkehr auf die Schiene kommt. Er schafft enorme Kapazitäten zur Verlagerung der Güter auf die Schiene und schützt unsere Alpenwelt. Der Bau einer zweiten Strassenröhre würde diese Verlagerung torpedieren und unweigerlich zu Lastwagen-Mehrverkehr zwischen Basel und Chiasso führen. Der Zusammenhang von Luftverschmutzung und Gesundheitsschäden entlang der Verkehrsachsen ist, gerade bei Kindern, seit Jahren bekannt.

Sicherheit jetzt statt in 20 Jahren

Das Sicherheitsargument der Befürworter einer teuren zweiten Röhre ist unredlich. Die bestehenden Sicherheitsmängel können mit rasch umsetzbaren Massnahmen wie einer versenkbaren Mittelleitplanke, einem Thermoportal auch am Nordeingang oder der Ausrüstung von Lastwagen und Autos mit smarten Fahrassistenzsystemen schon jetzt und nicht erst in 20 Jahren behoben werden.

Alternativen für das Tessin

Der Kanton Tessin kann während der Sanierung der alten Tunnelröhre mit der neuen NEAT und mit einem Autozug mit der Deutschschweiz verbunden bleiben – wie das heute am Lötschberg zwischen dem Oberwallis und der Deutschschweiz gut funktioniert. Die dringliche Sanierung des bestehenden Tunnels muss lange vor der Eröffnung einer allfälligen zweiten Röhre durchgeführt werden. Im bundesrätlichen Projekt ist aber keine Möglichkeit zum Autoverlad während dieser Zeit vorgesehen. Der Bau einer zweiten Röhre bedeutet, dass das Tessin während 140 Tagen von der Deutschschweiz abgeschnitten sein wird.

Dort investieren, wo die wirklichen Verkehrsprobleme liegen

Mit einer zweiten Röhre wird es nicht nur am Gotthard, sondern auf der ganzen Nord-Süd-Achse mehr Lärm, mehr Luftverschmutzung und mehr Lastwagen geben. Zwei Milliarden Franken für eine zweite Röhre auszugeben, um doppelt so viele Lastwagen durch die Schweiz zu schleusen, was schlussendlich zu einer Zunahme von Atemwegs-und Herzerkrankungen der Anwohner und Anwohnerinnen führt, macht für mich keinen Sinn. Die längsten Staus sind in den Städten und im Mittelland, nicht am Gotthard. Dagegen hilft allerdings nicht mehr Asphalt sondern ein gut ausgebautes, sicheres Velo-und Fussgängernetz sowie ein zuverlässiger öffentlicher Verkehr.

Doppelte Röhre – halbe Gesundheit: dazu sage ich am 28. Februar nein.

Dr. med. Doris Hofstetter, FMH Anästhesiologie, Gemeinderätin Grüne